«Beim Schweinefleisch hat sich die Armee angepasst»
mit Sebastian Dürst sprach Sarah Good
Die negativen Kommentare liessen nicht lange auf sich warten, als der «Blick» einen Artikel zum ersten Gebet mit einem muslimischen Seelsorger in der Armee veröffentlichte. Der Imam Muris Begovic hat seinen Dienst angetreten und zum Gebet geladen. Auf einem Foto ist zu sehen, wie 20 Soldaten in Richtung Mekka beten. Daneben stehen weitere Angehörige der Armee und sehen zu. «20min.ch» konnte mit einem Teilnehmer sprechen. «Wir haben das erste Gebet mit einem Imam im Militär gehabt. Es war wunderschön», sagt er.
Das Foto ist zum muslimischen Opferfest Bayram begonnen. Die Soldaten gehören zum Gebirgsschützenbataillon 6. Rund 700 Soldatinnen und Soldaten haben in den Kantonen Glarus, St.Gallen und Graubünden geübt. Das «Schützesächsi» hat sich unter anderem auf den Einsatz am World Economic Forum in Davos vorbereitet.
Dass es in der Armee nun einen muslimischen Seelsorger gibt, ist eine Premiere. Bis anhin stand diese Laufbahn nur Katholiken, Reformierten und Angehörigen von gewissen christ-lichen Freikirchen offen. Zusammen mit Muris Begovic sind auch zwei Seelsorger mit jüdischem Glauben ausgebildet worden.
Danach äusserte sich der SVP-National rat Andreas Glarner zum Bild: «So, jetzt ist die Armee definitiv verloren », schrieb er. Die Retourkutsche folgte prompt. Der Grünliberale Nationalrat Beat Flach antwortete: «Diese Soldaten sind bereit, für die Schweiz zu kämpfen, und haben – wie du – auf die Verfassung den Eid geleistet, in der die Glaubensfreiheit verankert ist!» Sebastian Dürst ist Religionswissenschaftler und hat seine Bachelorarbeit über Muslime in der Schweizer Armee geschrieben. Er ordnet die entstandene Emotionalität ein. Sebastian Dürst, wie wichtig ist es für muslimische Militärangehörige, dass es nun einen muslimischen Seelsorger gibt? Es gibt einen Grund, warum die Funktion nicht mehr «Feldprediger» heisst: Das Tätigkeitsfeld der Armeeseelsorger hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Von eigentlichen Pfarrern sind sie zu psychologischen Betreuern geworden. Das kann einen religiösen Hintergrund haben, muss aber nicht. Der Militärdienst ist eine Extremsituation, in der die persönlichen Rechte eingeschränkt werden. Das kann für einzelne Soldaten eine grosse Belastung sein. Hier helfen die Seelsorger als Personen, die ausserhalb der Hierarchie stehen. Dass man demselben Glauben anhängt, kann dabei eine Hilfe sein, ist aber nicht zwingend nötig. Ein gemeinsames Gebet wie auf diesem Bild ist also eher die Ausnahme in der Tätigkeit eines Armeeseelsorgers. Der praktische Nutzen des Imams dürfte darum für Muslime klein sein. Aber die symbolische Bedeutung ist gross: Man zeigt muslimischen Soldaten so, dass auch sie vollwertige Mitglieder der Armee und damit der Gesellschaft sind und dass man sie ernst nimmt und dankbar ist für ihren Dienst. Warum hat es so lange gedauert, bis es einen muslimischen Armeeseelsorger gab?
Das Problem war bis anhin ein eher technisches: Imame in der Schweiz wurden praktisch immer im Ausland ausgebildet. Und für die Armee ist es wichtig, dass der Hintergrund der Seelsorger nachvollziehbar ist. Konkret heisst das, dass keine extremistischen Ansichten vertreten werden sollen. Das konnte man in der Zwischenzeit offenbar lösen. Sie schrieben Ihre Bachelorarbeit über Muslime in der Schweizer Armee. Lassen sich der Wehrdienst und das Praktizieren der muslimischen Religion gut vereinbaren? Da muss ich zuerst etwas ausholen: Interessant ist die Situation der Muslime in der Schweizer Armee ja, weil in der Armee die Grundrechte eingeschränkt werden. Das heisst: Die Interessen des Einzelnen werden zugunsten der Interessen der Gemeinschaft zurückgestuft. Darum darf man in der Armee nicht so lange wach sein, wie man will. Man trägt dieselbe Kleidung und kann nicht auswählen, wo und was man isst. Das provoziert Konflikte, wenn man zum Beispiel andere Essensregeln hat oder sich regelmässig von der Truppe entfernen muss, um zu beten. Ich war damals selbst überrascht von meiner Erkenntnis: In den allermeisten Fällen funktioniert die Integration in den militärischen Dienstbetrieb problem-los. Einerseits weil in der Armee individuelle Lösungen gefunden werden, andererseits weil viele Muslime auch selbst nach Lösungen oder Kompromissen suchen.
Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Sogar zwei! Spannend fand ich zum Beispiel die fünf täglichen Gebete, die im Islam Pflicht sind. Ein muslimischer Armeeoffizier hat mir erzählt, dass er die Gebete jeweils am Abend nachholt, wie das der Koran erlaubt. Und dass er zusammen mit seinem Vorgesetzten eine leere Vorratskammer als Gebetsort nutzen konnte. Es hat sich dann ergeben, dass dieser Raum zu einem Raum der Stille für die ganze Kompanie geworden ist. Relevanter ist aber wohl das zweite Beispiel, das Essen ohne Schweinefleisch. Hier hat sich die Armee schon lange der Realität angepasst. Nicht nur wegen Muslimen, sondern auch wegen Vegetariern gibt es heute in der Regel zwei Menüs auch in der Armee. Dazu gibt es mittlerweile auch Weisungen und Menüvorschläge.
Also gibt es überhaupt keine Probleme mit Muslimen in der Armee? Wie gesagt: Das Militär ist eine Ausnahmesituation, weil die persönlichen Rechte eingeschränkt werden. Das führt fast zwangsläufig zu Konflikten. Aber ich denke, dass es keine systematischen Probleme gibt und dass es viele Möglichkeiten gibt, einen Kompromiss zu finden.
Hat sich das verändert?
Ja, die Armeeverantwortlichen haben dazugelernt und viele «Best-Practice»Lösungen zum Standard gemacht, wie zum Beispiel beim Essen. Aber man muss schon auch sehen, dass die vollständige Integration aller persönlichen Interessen nicht im Sinne der Sache ist. Das heisst: Die Erfüllung der Aufgabe wird immer höher gewichtet als das individuelle Interesse. Und das kann dazu führen, dass man sich unterordnen muss, wenn man nicht kompromissbereit ist. Faktisch ist es ja aber auch so, dass heute die Wehrpflicht nicht mehr wirklich existiert. Wer also wirklich nicht will, muss auch keinen Militärdienst leisten und kann das Problem so erledigen.
Wieso sorgt dieses Foto für so entrüstete Kommentare?
Egal, was man von der Schweizer Armee hält, sie steht für den Kern unseres Staates. Die Armee führt das Gewaltmonopol des Staates aus und da-rum sind wir natürlich darauf angewiesen, dass die Armeemitglieder die Werte des Landes vertreten und das Gewaltmonopol verantwortungsvoll einsetzen. Wer die falsche Vorstellung hat, dass der Islam grundsätzlich nicht mit den Schweizer Werten vereinbar ist, sieht darin natürlich einen Angriff auf unseren Staat an sich. Es ist kein Zufall, dass sich gerade der fremdenfeindliche Andreas Glarner so abschätzig über das Bild äussert: Es passt in sein Konzept, Überfremdungsangst auf diese Weise zu schüren. Und was halten Sie persönlich von den Reaktionen? Man sollte das Bild nicht überbewerten. Genau wie christliche Gottesdienste eine Randerscheinung in der Armee sind, werden es muslimische Gebete sein. Es hat aber natürlich eine grosse symbolische Bedeutung. Es ist wie so oft: Wenn das Bild der Anlass für eine seriöse Diskussion über die Armee ist, hilft es. Wenn es für plum-pe Propaganda in irgendeine Richtung missbraucht wird, schadet es. Die Armee informierte erst über das Gebet, als schon Medien darüber berichtet hatten. War das problematisch?
Ohne Erklärung kann das Bild provo-kant wirken. Ich verstehe darum, dass die Armee nicht proaktiv gehandelt hat. Allerdings hätte es bei der Stel-lungnahme zwingend eine Einordnung in den Gesamtkontext gebraucht. Jetzt hat die Armee nämlich die Deutungshoheit über das Bild verloren. Das ist doppelt schade, weil diese Botschaft meiner Meinung nach durchaus ihre Berechtigung hat: Dass in der Armee Muslime, Christen, Juden, Buddhisten und Atheisten zusammenarbeiten, ist eine Integrationsleistung. Und das funktioniert nur, gerade weil diese Menschen ihre persönlichen Ansprüche und Überzeugungen zurückstecken. Davon könnte sich Andreas Glarner eine dicke Scheibe abschneiden.
Muslimische Soldaten haben zu Beginn des Opferfests Bayram in Richtung Mekka gebetet. Fotos der Szene sorgen für irritierte Reaktionen. Der Religionswissenschaftler Sebastian Dürst ordnet ein.