«Die beste und schönste Saison meiner Karriere»
Fabian Schär hat die beste Saison seiner internationalen Laufbahn hinter sich. Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht er über den Höhenflug von Newcastle.
Zusammen mit Champion Manuel Akanji vom entrückten Manchester City und Arsenals Spielmacher Granit Xhaka gehört Fabian Schär zum Schweizer Trio grande, das in der Premier League vorwiegend beeindruckende Schlagzeilen produziert hat. Der ausnahmslos gesetzte Innenverteidiger war massgeblich am erfolgreichsten Klubergebnis seit zwei Jahrzehnten beteiligt.
Er war der erste Saisontorschütze der Magpies. Mit seinem zehnten Treffer in gesamthaft 125 Premier-League-Partien lancierte Schär im August vor einem Jahr eine herausragende Saison. «Das war der Büchsenöffner unserer Saison», meldet er mit viel Schalk in der Stimme aus dem euphorisierten Nordosten Englands.
Seit Oktober 2021 sind saudische Investoren am Ball beim Newcastle United Football Club. Die verhältnismässig unauffälligen Klubchefs agieren smart und haben den studierten Sportmanager Schär auch in ökonomischer Hinsicht überzeugt: «Sie haben klug investiert.» Es wird nicht geklotzt, hochtrabende Ansprachen hielt keiner der Geldgeber. Von einer Realitätsverzerrung wie andernorts sei nichts spürbar.
Und mit Eddie Howe hat die United im Herbst 2021 den Trainer-Hoffnungsträger Englands engagiert. Erst 45-jährig ist er, der Bournemouth von der dritten Klasse bis in die Premier League geführt hat und nun Newcastle innert Kürze in den wichtigsten europäischen Wettbewerb lotste. «Er ist der beste Trainer meiner Karriere.»
Wie heftig sind die Reaktionen auf den ersten Champions-League-Vorstoss seit über zwei Dekaden ausgefallen?
«Wenn man bedenkt, wo wir vor ein paar Jahren standen, hätte uns niemand einen solchen Weg zugetraut. Die Fans schwelgen im siebten Himmel – und wir natürlich auch. Es ist unglaublich, dass wir unsere Pace in dieser starken Liga während einer ganzen Saison durchziehen konnten. Hut ab, Hut ab.»
Sie kennen diverse europäische Schauplätze und haben auf Ihrer Route nach oben ziemlich viel einstecken müssen.
«Für mich war es auch persönlich eine unfassbar gute Saison. Ich war nahezu in jedem Spiel verletzungsfrei. Seit bald 15 Jahren gab es nur zwei Teams neben den Top 6, welche die Champions League erreicht haben – Leicester und wir. Das zu wissen, tut gut. Sich über 38 Spiele gegen diese Konkurrenten durchgesetzt zu haben, kann man kaum genug hoch einschätzen.»
Welchen Stellenwert hat der Erfolg mit Newcastle für Sie persönlich?
«Für mich war es die beste und schönste Saison meiner ganzen Karriere. Klar, die Zeit in Basel war ebenfalls wichtig. Aber mit Blick auf das ganz grosse Bild passt meine Einstufung. Ich habe mich nie zuvor an einem Ort wohler gefühlt als in Newcastle. Die Zusammenarbeit im Team und mit dem Trainerstab ist beispiellos. Ich empfinde ein grosses Glücksgefühl und viel Dankbarkeit dafür, dass ich diese Phase miterleben darf.»
Sie kennen auch die Schattenseiten des Geschäfts – mit körperlichen Rückschlägen und anderen Turbulenzen in den früheren Klubs.
«Ich hatte schon früher immer mal wieder gute Momente. Aber die Konstanz über eine ganze Spielzeit fehlte. Nun kam ich in den berühmten Flow. Es lief, es ging mir gut, der Coach schenkte mir das Vertrauen – das hängt immer alles zusammen. So gibt es wenig Raum für Probleme. Dazu habe ich viel investiert, hart gearbeitet.»
Ihr Coach Eddie Howe ist eine spannende Figur. Ein verhältnismässig junger Trainer mit einer beeindruckenden Erfahrung. Er führte Bournemouth von der dritten Klasse bis in die Premier League.
«Er ist der beste Trainer meiner Karriere. Es ist schwierig, ihn nur über einen Bereich zu definieren. Er hat so viele gute Facetten. Seine Trainingslehre ist erstklassig, in keinem Meeting kommt auch nur der Hauch von Langeweile auf. Was er ansagt, hat immer Hand und Fuss. Extrem gut passt mir, wie er mir auf der persönlichen Ebene begegnet. Der Mensch ist ihm wichtig. Das ist bei ihm eine überragende Komponente. Er erkundigt sich auch mal an einem freien Tag bei einem Spieler; man kann mit ihm ganz private Angelegenheiten besprechen. Ich bewege mich bei ihm in einem sehr vertrauten Verhältnis.»
Sie stehen im fünften Jahr. Welchen Status beanspruchen Sie intern?
«Ich bin schon fast am längsten an Bord. Und da ich inzwischen praktisch in jeder Partie auf dem Platz stehe, steigt auch der interne Stellenwert. Ich bringe mich auch gerne ein, weil dieses Team kerngesund ist. Die vielen guten Charaktere vereinfachen das Innenleben auch enorm; der Spassfaktor kommt nicht zu kurz.»
Reicht das Zusammenspiel über den Platz hinaus?
«Es geht mir mehr um die bedingungslose Ehrlichkeit in der Garderobe. Man ist bereit, Dinge anzusprechen, um Veränderungen herbeizuführen. Niemand stellt sich über die Sache. Solche Prozesse, solche Strukturen im Kern einer Mannschaft sind in sportlich herausfordernden Phasen enorm viel wert.»
Im Herbst 2021 gab es in Newcastle eine Zäsur. Neue Geldgeber aus Saudi-Arabien haben den Verein übernommen. Viele Experten rechneten damit, dass die Magpies mit Geld überschwemmt würden und kein Stein auf dem anderen bliebe.
«Die neuen Besitzer haben sehr überlegt investiert und kluge Transfers getätigt. Von einem Kaufrausch war nichts zu spüren. Stattdessen wurden einige Mittel in die Infrastruktur gesteckt. Sie haben richtig gute Arbeit gemacht. Der Strategiewechsel war nötig.»
Was wird künftig erwartet? Haben sich die Fans nach schwierigen Dekaden wieder an den guten Fussball gewöhnt?
«Momentan sind die Fans einfach nur dankbar. Sie tragen uns auf Händen. Jeder weiss, woher der Klub gekommen ist. Jahrelang musste Newcastle leiden.»
Wie schwierig ist die Premier League zu spielen?
«Es ist die schwierigste und beste Liga der Welt. Da ist sich jeder einig. Selbst Manchester City darf den Fuss nie vom Gaspedal nehmen. Mit ein, zwei Prozenten weniger reicht es nicht mehr. Es verlangt einem sehr viel ab.»
Wie anspruchsvoll war der Wiedereinstieg nach der WM-Enttäuschung?
«Es ging gut und einfach. Mir machte die Rückkehr Spass. Ich fand den Einstieg sofort wieder.»
Auf welchem Platz der Prioritätenliste steht das Nationalteam?
«Die Premier-League-Saison ist lang und hart. Viele unterschätzen die körperlichen und mentalen Anforderungen. Man muss eine gute Planung betreiben, um alles durchzustehen. Ab und an wünschte ich mir wohl auch die eine oder andere Pause mehr, um die Batterien wieder aufzuladen. Aber beklagen möchte ich mich natürlich nicht – ich bin dankbar, diese beiden internationalen Optionen zu haben.»
Hat das 1:6 gegen Portugal im WM-Achtelfinal bei Ihnen lange nachgehallt?
«Es war nicht einfach, das alles so hinzunehmen. Es lief einiges nicht wie gewünscht. Mein Fokus verlagerte sich deshalb automatisch in Richtung Newcastle. Aber klar, ich bin weiterhin stolz, für die Nationalmannschaft zu spielen. Momentan freue ich mich in erster Linie über das tolle Jahr mit meinem Klub.»
Und Sie geben im Herbst Ihr Comeback in der Champions League.
«Darauf freue ich mich riesig. In unserem Stadion wird eine atemberaubende Atmosphäre herrschen. Für mich geht ein nächster Traum in Erfüllung. Vor einem Jahr hätte ich so etwas nicht einmal ansatzweise für möglich gehalten. Ein Jahr lang haben wir dem Druck der Grossklubs standgehalten.»