Der logische Sieger bei der WM der Namenlosen
In Tampere geht eine WM zu Ende, bei der die besten Spieler der Welt durch Abwesenheit glänzen. Die Schweizer enttäuschen, die Deutschen überraschen und am meisten jubeln wie meist die Kanadier.
Als das deutsche Team um Coach Harold Kreis – mit Silbermedaillen um den Hals – kurz nach halb 5 Uhr am Morgen des Pfingstmontags den kleinen Flughafen von Tampere betritt, brandet kurz spontaner Applaus auf. Derweil nimmt der Kanadier Michael Carcone – bereits bei der Sicherheitskontrolle und leicht grinsend – seine goldene Plakette hervor. Noch einmal treffen sich ein paar der Protagonisten des Finalspiels vom Vorabend, ehe es in die verdienten Ferien geht. Doch was bleibt von dieser WM in Finnland und Lettland, die eigentlich in St. Petersburg hätte stattfinden sollen? Ein Rückblick in vier Zitaten.
«Dieses Deutschland hätte man mit dieser Mannschaft einfach schlagen müssen.» – Lars Weibel, Schweizer Nationalmannschaftsdirektor.
Sechs Spiele lang begeisterten die star-bestückten Schweizer mit attraktivem Tempo-Hockey und unter anderem Siegen gegen Kanada und Tschechien. Dann folgte – wie schon so oft gegen Deutschland und wie seit vier Jahren immer im Viertelfinal – der brutale Absturz. Vom besten Team der Schweizer Geschichte war die Rede, mit Nico Hischier, Nino Niederreiter und Kevin Fiala brachte man drei Spieler aus den Top 100 der NHL-Torschützenliste aufs Eis, mehr hatten auch die Kanadier nicht. 106 Treffer in der diesjährigen Saison der besten Liga der Welt hatte das Schweizer WM-Team aufzuweisen. Zum Vergleich: Beim Gegner Deutschland kommen deren 84 in der gesamten Karriere zusammen, beim Bronze-Gewinner Lettland 39. «Inakzeptabel», nannte Captain Niederreiter den Auftritt, von einem «mentalen Problem» sprach Nationalcoach Patrick Fischer. Wer den Parcours der Deutschen und Letten sah, muss zum Schluss kommen: Hier wurde eine goldene Chance verpasst.
«Natürlich bin ich sehr, sehr stolz auf die Mannschaft. Wir haben was gewonnen und nicht was verloren.» – Harold Kreis, deutscher Coach.
Deutschland zeigte eindrücklich auf, was mit Willen, Teamgeist und Leidenschaft möglich ist. 45 Minuten lang durfte das Team, das auf diese Saison hin vom ehemaligen Lugano- und ZSC-Meistercoach Harold Kreis übernommen worden war, im Final sogar auf den ersten WM-Titel hoffen, so wurde es die erste Medaille seit 70 Jahren. John-Jason «JJ» Peterka von den Buffalo Sabres, in der NHL (noch) kein so grosser Name wie Hischier oder Fiala, wurde als bester Stürmer der WM ausgezeichnet. In der Schweiz oft etwas belächelt, befindet sich das deutsche Hockey im Hoch. Nach dem 4. Platz vor zwei Jahren gab es nun wie bei Olympia 2018 Silber. Mit der Heim-WM 2027 am Horizont sind auch die Perspektiven glänzend.
«Jedes Mal, wenn Kanada ein Turnier spielt, erwarten wir Gold.» – Kanadas Vize-Captain Milan Lucic.
Im Alter von 34 Jahren und mit der Erfahrung von 1309 NHL-Spielen nahm Milan Lucic erstmals an einer WM teil. Die grossen Figuren waren aber andere wie MacKenzie Weegar. «Wir hatten einige Holperer», stellte der beste Verteidiger der WM fest. In der Vorrunde verloren die Kanadier gegen die Schweiz und Norwegen und bezwangen die Slowakei erst im Penaltyschiessen. Mit dem üblen Foul von Joe Veleno gegen Niederreiter, für das er zurecht für den Rest des Turniers ausgeschlossen wurde, machten sie sich auch keine Freunde. Als es in die K.o.-Spiele ging, waren sie aber voll da. Mit einem Team ohne grosse Namen, das da und dort verächtlich als C- oder sogar D-Mannschaft bezeichnet wurde, erfüllten sie ihre Aufgabe diszipliniert und unaufgeregt. 13 Mal standen die Kanadier in den letzten 20 Jahren im Final, nun sind sie mit 28 WM-Titeln alleiniger Rekordhalter. Es passte zu dieser WM der «Namenlosen».
«Das bedeutet für Lettland sehr, sehr viel, es ist ein Traum.» – Der Lette Toms Andersons, der in der Swiss League bei La Chaux-de-Fonds spielt.
Nicht wie im Vorjahr Finnland, sondern Lettland holte für einen der Co-Gastgeber die Medaille. Das mit wenig Kredit angetretene Team, das im Startspiel 0:6 gegen Kanada unterging, steigerte sich von Spiel zu Spiel und holte am Ende die erste WM-Medaille für das baltische Land mit nur 1,8 Millionen Einwohnern. Die Austragung der Titelkämpfe war ein verdienter Lohn für die zwei Jahre zuvor durchgeführte «Corona-Geister-WM» in Riga – mit der Bronzemedaille als fast schon kitschiges Happy-End.