Walliser Zirkus gegen Winterthurer Schweissarbeit
Sion und Winterthur spielen in den letzten zwei Runden der Super League gegen den Gang in die Barrage. Es ist ein Fernduell der Gegensätze.
Auf der einen Seite steht der FC Winterthur, auf der anderen der FC Sion – Neunte die Zürcher, Zehnte und Letzte die Walliser. Die Parallele ist die prekäre sportliche Lage, der drohende Abstieg als Liga-Schlusslicht über die Barrage. Ein Punkt trennt die beiden Klubs zwei Runden vor Schluss, einer der beiden wird seine Liga-Tauglichkeit in der Barrage beweisen müssen, um auch nächste Saison in der höchsten Spielklasse vertreten zu sein.
Beständigkeit hier, Aktionismus dort
Die Art und Weise, wie die beiden Klubs funktionieren und den Ligaerhalt anstreben, könnte unterschiedlicher kaum sein. Wobei sich im Grunde genommen beide treu bleiben: Winterthur verkörpert den demütigen, stillen Arbeiter-, Sion den vogelwilden, lauten Chaosklub. In Winterthur diktiert die Vernunft das Geschehen, im Wallis der von den Launen des so aufbrausenden wie allmächtigen Präsidenten gesteuerte Zirkus.
Während die Nerven bei Sions Entscheidungsträgern in der sportlichen Not abermals flattern, findet Winterthur in der Super League durchaus auch Gefallen am Abstiegskampf. Der Aufsteiger akzeptiert die monetäre und spielerische Unterlegenheit genauso wie sein Anhang. Im Derby gegen den FC Zürich wird die Schützenwiese zum zwölften Mal im 18. Heimspiel bis auf den letzten Platz gefüllt sein.
Winterthur findet sich damit ab, dass mit den beschränkten Mitteln insbesondere in der Offensive Defizite einhergehen. Stattdessen setzt der Klub auf Büezer-Tugenden wie Fleiss und Arbeit, auf Teamgeist und Beständigkeit. Seit dem dritten Spieltag ist Winterthur in der Tabelle entweder Letzter oder Vorletzter. Der Trainer blieb mit Bruno Berner derselbe, das Stadion gut gefüllt, die Chancen auf den Ligaerhalt trotz Unterlegenheit intakt.
Die Launen des Chefs
Von so viel Zuspruch und Vertrauen können Angestellte beim FC Sion nur träumen. Zu gross sind die Luftschlösser, die der Präsident Christian Constantin und sein Sportchef/Sohn Barthélémy mit den Verpflichtungen grosser Namen wie Mario Balotelli in den imaginären Himmel bauen und in aller Regelmässigkeit beim ersten Windstoss platzen sehen.
Dreimal wechselte Constantin alleine in dieser Saison den Trainer. Nun steht mit Paolo Tramezzani wieder jener Mann an der Seitenlinie, von dem sich der Patron im November zum dritten Mal getrennt hatte. Nicht zum ersten Mal hielt es Constantin vorübergehend für das klügste, die Mannschaft selber zu coachen. Nicht zum ersten Mal droht er, den Klub fallen zu lassen. Schuld sind nebst den Trainern dieses Mal allen voran die – zugegebenermassen fehleranfälligen – Schiedsrichter, die sich nach Constantin’scher Lesart gegen die Klubs aus der Romandie verschworen haben.
Bezeichnenderweise drückt sich die Unbeständigkeit auch in der Entwicklung der Tabellenränge im Saisonverlauf aus: Vom 2. bis zum letzten Platz deckt der Klub auf seiner Achterbahnfahrt das ganze Spektrum an. Nach zwölf Runden, dem ersten Drittel der Saison, lag Sion noch auf dem 3. Platz, jetzt ist die Mannschaft wieder am Tabellenende.
Hoffnung auf ein Happy-End
Steht Sion angesichts dieser Schilderungen also als Verlierer fest? Nein! Denn zur Geschichte des Klubs gehört auch, dass er sich bei allem Chaos eben doch oftmals zu retten weiss. Man denke an die Siege in der Barrage 2021 gegen Thun (4:1, 2:3) und den Ligaerhalt 2012 trotz 36 Punkten Abzug (dank des Liga-Ausschlusses von Neuchâtel Xamax) oder einige der 13 Cupsiege, die das damalige Geschehen in der Meisterschaften konterkarierten.
Aktuell hat Sion noch mehrere Chancen, den Kopf auch 2023 aus der Schlinge zu ziehen: zuerst mit Punkten zuhause gegen Luzern und auswärts in St. Gallen, danach in der allfälligen Barrage gegen den Dritten der Challenge League.