Jenny will mit den Handballern «Unihockey wieder überholen»
SHV-Präsident Pascal Jenny spricht über die Bedeutung der EM-Qualifikation, das Produkt NLA, die Ersetzung von Nationaltrainer Michael Suter sowie über seine Visionen.
SHV-Präsident Pascal Jenny spricht über die Bedeutung der EM-Qualifikation, das Produkt NLA, die Ersetzung von Nationaltrainer Michael Suter sowie über seine Visionen.
Der frühere Handballer Pascal Jenny ist seit Januar 2022 Präsident des Schweizerischen Handball-Verbandes. Der 49-Jährige ist ein Macher-Typ und hält im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg zurück.
Pascal Jenny, das Nationalteam hat sich für EM-Endrunde 2024 qualifiziert. Wie wichtig war das?
«Es hat aus verschiedenen Gründen einen grossen Stellenwert. Zum einen durfte die Ära Michael Suter einen Höhepunkt erfahren mit der EM in Deutschland im wichtigsten Handball-Markt. Zweitens ist eines der Ziele, sich regelmässig für Europa- und Weltmeisterschaften zu qualifizieren. Nun sind im nächsten Jahr beide Nationalmannschaften an einer EM dabei, die Frauen daheim. Drittens, was auch ganz wichtig ist, hilft es der jetzigen Generation im Hinblick auf die Heim-EM 2028. Nun gibt es noch den Wunsch, ins Eröffnungsspiel gelost zu werden und vor 50’000 Zuschauern im Fussballstadion in Düsseldorf aufzulaufen. Aber das muss nicht sein, die EM alleine macht schon Spass (lacht).»
Anfang 2016 war das Nationalteam mit der 21:34-Niederlage in der EM-Qualifikation gegen die Niederlande an einem Tiefpunkt angelangt. Seither ist einiges gegangen. Was ist für Sie der Hauptpunkt, dass diese Entwicklung möglich war?
«Es begann schon vor dieser grossen Niederlage, indem wir viel mehr in den Nachwuchs investiert haben. Dass es zu dieser Professionalisierung kam, auch daran war Michael Suter massgeblich beteiligt. Dann, das darf nicht unterschätzt werden, trug das Schweizer Fernsehen mit regelmässigen Übertragungen der Partien zu einer grösseren Sichtbarkeit und Attraktivität bei. Ausserdem ist der Aufschwung im Männer-Handball auf überragende Spieler zurückzuführen – Andy Schmid, Lenny Rubin, Nikola Portner. Solche braucht es, wenn man erfolgreich sein will.»
Es zieht immer mehr junge Spieler in die Bundesliga. Ist das der Andy-Schmid-Boom?
«Ja, ich denke. Natürlich gab es vorher mit Marc Baumgartner oder Carlos Lima schon andere Spieler, die den Schritt ins Ausland gewagt haben. Andy hat aber aufzeigt, dass man trotz Anlaufschwierigkeiten top werden kann. Wir haben einige in der Bundesliga, die nicht so viel spielen, nun aber den Mut haben, zu bleiben und sich durchzusetzen. Das wird sie für die Nationalmannschaft stärker machen.»
Ist der Sprung ins Ausland der Weg, der nötig ist, um es an die Spitze zu schaffen?
«Es ist ein zweischneidiges Schwert. Schliesslich wollen wir bei den Männern und Frauen die oberste Liga stärken. Das versuchen wir mit der Professionalisierung der Strukturen hinzubekommen. Es braucht im Nationalteam eine Balance zwischen Akteuren im Ausland und starken Spielern aus der Nationalliga A.»
Wie zufrieden sind Sie aktuell mit dem Produkt NLA?
«Als ich das Amt als Verbandspräsident übernommen habe, sagte ich, dass es für mich bloss Klartext gebe, es nichts bringe, um den heissen Brei zu reden. Von daher: Ich bin nicht zufrieden, wir sind nicht dort, wo wir sein sollten. Wir müssen eine viel grössere Bedeutung sowie eine grössere Qualität in der höchsten Liga haben, sowohl bei den Männern wie auch bei den Frauen. Positiv stimmt mich, dass sehr viele Leute das auch wollen und darauf hinarbeiten. Eine neue Halle wie hier in Winterthur bietet einen grossen Mehrwert.»
Welche konkreten Punkte müssen verbessert werden?
«Einerseits müssen die Spiele der höchsten Liga mehr ein Erlebnis, ein Event sein, andererseits braucht es eine konsequentere Nachwuchsausbildung. Vielleicht müssen wir vom Verband vermehrt dafür sorgen, dass die Topvereine den Nachwuchs fördern. Es braucht mehr Akademien wie in Schaffhausen, wo hervorragende Arbeit geleistet wird. Beim BSV Bern wird investiert, man hört, in Thun soll investiert werden. Wenn wir den Nachwuchs fördern wollen, müssen wir in die Schulen gehen. Es gibt momentan zu wenig Mädchen und Buben, die Handball spielen, da sind wir vom Verband gefordert. Wir wollen Unihockey wieder überholen, zumal wir eine grössere Tradition haben. Es gilt herauszufinden, in welchem Bereich die Tradition hilft und wo eine Modernisierung nötig ist. Es braucht zwei, drei neue Elemente, damit die Jungen den Sport cool finden.»Elemente, damit die Jungen den Sport cool finden.”
Zum Beispiel?
«Ein Traum von mir wäre, dass die Zuschauer in der Halle Einfluss auf das Spiel haben, beispielsweise indem sie per Handy entscheiden, wer Penaltys schiesst. Dann wäre man integriert, was vermehrt Junge in die Halle bringen würde.»
2024 findet die EM der Frauen unter anderem in der Schweiz statt, 2028 jene der Männer. War das eine bewusste Strategie, um den nächsten Schritt zu machen?
«Ja, wir sagten uns, dass wir Europameisterschaften in unser Land bringen müssen, um noch mehr Sichtbarkeit zu erhalten. Bei den Frauen gehen wir nach Basel, da dort der Handball wieder mehr leben soll. 2028 gehen wir Richtung Bern, Westschweiz, weil wir glauben, dass wir die Westschweiz wie auch das Tessin mehr für den Handball begeistern müssen.»
Zurück zur Gegenwert: Trotz der grossen Verdienste von Michael Suter wird er 2024 durch Andy Schmid ersetzt. Warum?
«Auch da habe ich eine klare Meinung. Ich finde, dass Führungspersonen im Sport und in der Wirtschaft nach acht bis zwölf Jahren ausgewechselt werden sollten, dann frisches Blut nötig ist. Deshalb sind wir sehr früh auf Michi zugegangen und haben ihm gesagt, dass wir mit Blick auf die EM 2028 einen Schnitt machen möchten. Es war schon immer unser Wunsch, Andy Schmid im Verband zu halten, deshalb hatten wir mit ihm einen Vorvertrag abgeschlossen. Er entschied sich nun, in die Richtung Trainer zu gehen. Jedoch können wir Michi nicht genug danken, was er für den Handball hierzulande gemacht hat. Ich kann mir gut vorstellen, dass er ein anderes Projekt im Verband übernehmen wird.»
Mit dem Engagement von Andy Schmid gehen Sie ein gewisses Risiko ein, da es seine erste Stelle als Trainer sein wird. War das ein Thema?
«Ich glaube, das Risiko, dass es nicht gut kommt, ist relativ gering. Andy wird bald 40, hat mit diversen Coaches zusammengearbeitet und die Trainerausbildung schon zu einem grossen Teil absolviert.»
Zum Schluss: Sie sind ein Macher-Typ, was sind Ihre nächsten Projekte?
«Ein Verband ist grundsätzlich ein schwerfälliges Gebilde, von daher ecke ich an einigen Orten an. Mein übergeordnetes Ziel ist mehr Unternehmertum, das heisst, Risiken einzugehen, wie eine Frauen-EM in die Schweiz zu holen, bei der die Meinung herrscht, sowieso Verlust zu machen. Ich bin überzeugt, dass wir kein Minus haben werden, es uns gelingt, die Halle in den drei Spielen der Schweizerinnen zu füllen. Zweitens gilt es viel mehr, die Vereine untereinander zu vernetzen. Da will ich einen weiteren Schwerpunkt setzen. Es wird so viel Gutes gemacht, aber der eine weiss nicht, was der andere tut. Es darf kein Gärtchendenken mehr geben. Als allerletzter Punkt müssen wir in der Kommunikation, Stichwort Social Media, moderner werden, wenn wir in den Schulen erfolgreicher sein wollen.»