«5.-Liga-Fussballer wie Olympia-Teilnehmende sind betroffen»
Für Swiss Sport Integrity fällt 2022 ein Haufen Arbeit an. Die Anlaufstelle für mögliche Ethikverstösse oder Missstände im Schweizer Sport wird viel häufiger kontaktiert als erwartet.
Für Swiss Sport Integrity fällt 2022 ein Haufen Arbeit an. Die Anlaufstelle für mögliche Ethikverstösse oder Missstände im Schweizer Sport wird viel häufiger kontaktiert als erwartet.
Der Direktor Ernst König steht zu fünf Fragen Red und Antwort.
Ernst König, seit einem Jahr heisst die Stiftung Antidoping Schweiz neu Swiss Sport Integrity und behandelt neben Dopingvergehen auch Ethik-Verstösse. Zurecht, wie die 264 Meldungen belegen. Überrascht Sie diese hohe Zahl?
König. «Ja. Wir stützten uns auf die zuvor provisorische Stelle bei Swiss Olympic ab. Dort kamen ein bis zwei Meldungen pro Woche rein. Australien oder Finnland bauen was Ähnliches auf. Aber internationale Vergleichswerte gibt es nicht.»
Wie werten Sie das, wenn dreimal mehr Meldungen eingehen als erwartet: Ist dies ein Vertrauensbeweis für Swiss Sport Integrity oder stellt dies den Schweizer Sport in ein schlechtes Licht?
«Es ist beides. Einerseits hätten wir am liebsten, wenn es keinen Grund gäbe, sich bei uns zu melden. Andererseits freut uns der Vertrauensbeweis. Die Meldestellen sind ja nicht etwas ganz Neues, es gab sie vereinzelt schon bei den Verbänden oder Swiss Olympic. Die Sportlerinnen und Sportler vertrauen uns, sie schätzen unsere Unabhängigkeit. Das ist entscheidend.»
Und die Anonymität. Wie viele Prozent der Meldungen erfolgen anonym?
«Das ist ein schleichender Prozess. Der erste Kontakt erfolgt oft anonym. Mit der Zeit, wenn das Vertrauen da ist, geben sich die Betroffenen gegenüber uns zu erkennen. Gegenüber den Angeschuldigten wollen sie aber häufig anonym bleiben.»
In welche Bereiche lassen sich die Meldungen kategorisieren?
«Die Meldungsbreite ist sehr heterogen. 2022 waren über 40 Sportarten, Kindesalter wie Erwachsene, 5.-Liga-Fussballer wie Olympia-Teilnehmende betroffen. Bei rund einem Drittel der Verstösse geht es um die Verletzung der psychischen Integrität, gefolgt von den Bereichen physische und sexuelle Integrität. Oft liegt auch eine Kombination von mehreren Elementen vor.»
Im Dopingwesen sind Verstösse definiert, der Graubereich ist überschaubar. Wie sieht dies bei Ethik-Verstössen aus?
«Der Graubereich in den Ethikverfahren ist um ein Vielfaches grösser. Ob nun ein Verstoss vorliegt oder nicht, lässt sich nicht einfach so beantworten. Häufig beurteilen verschiedene Leute denselben Sachverhalt unterschiedlich. Die einen finden ein Training super, sagen, das bringt mich weiter, die anderen fühlen sich verletzt. Handelt es sich nun um eine Einzelfall-Betrachtung oder wurden tatsächlich Grenzen überschritten? Wir müssen genau hinschauen, das beansprucht auch Zeit. Wichtig ist: Wir schenken allen Gehör.»