«Ich mache mir Sorgen um die Perspektiven der U20 und U18»
Verbands-Sportdirektor Lars Weibel spricht im Interview unter anderem über die Aufstockung auf sechs Ausländer in der National League und die Perspektiven der Schweizer Spieler.
Verbands-Sportdirektor Lars Weibel spricht im Interview unter anderem über die Aufstockung auf sechs Ausländer in der National League und die Perspektiven der Schweizer Spieler.
Noch während der Playoff-Final zwischen Servette und Biel läuft, hat die Schweizer Eishockey-Nationalmannschaft die Vorbereitung auf die WM in Riga und Tampere aufgenommen. In der ersten Trainingswoche und vor dem ersten Testspiel gegen die Slowakei in Visp traf Keystone-SDA den ehemaligen Spitzengoalie und Nationalmannschafts-Direktor Lars Weibel zum Gespräch.
Lars Weibel, sind Sie froh, dass Sie nicht gegen Weltklassespieler wie Hartikainen oder Filppula im Tor stehen müssen?
«Ich bin froh, muss ich nicht mehr spielen, weil ich doch schon knapp über dreissig bin (lacht). Es war immer die grösste Challenge, gegen solche Topathleten zu spielen. Ich bin dankbar, dass ich in meiner Epoche gegen Zetterberg, Dazjuk und Co. spielen durfte.»
Aber Sie mussten das nicht fast jeden Abend in der heimischen Liga.
«Ja, ich bin froh, konnte ich an der WM gegen die Besten antreten und nicht im Klub gegen so viele Ausländer.»
Geben Sie mir recht, dass wir eine der besten und spektakulärsten Saisons der Schweizer Geschichte erleben?
«Es ist eine sehr interessante Saison, das steht ausser Frage. Die reduzierte Einsatzzeit der Schweizer ist aber klar belegbar, und unsere Aufgabe ist es, darauf hinzuweisen, dass es aus unserer Sicht nicht gut ist.»
Kann es nicht auch positiv sein, wenn Schweizer Spieler jeden zweiten Abend gegen Weltklasse-Akteure antreten können?
«Wir hatten in der Schweiz schon immer gute Ausländer, und das ist auch gut so. Es ist die Anzahl, die das Problem ist. Wir sind ja nun kein Entwicklungsland mehr, das die Ausländer braucht, um uns zu zeigen, wie es geht. Wir haben gute Leute, und die müssen auch viel spielen und Verantwortung tragen. Sonst hätte ich ja als Goalie nur der Backup des Besten werden müssen, dem zuschauen – und wäre auch besser geworden. Zuschauen alleine nützt aber nichts. Du musst gegen sie spielen können, aber auch Platz bekommen. Auch die nächste Generation muss eine Perspektive haben zu spielen.»
Es sind vierzehn statt zwölf Teams, die Plätze für Schweizer sind also unter dem Strich nicht weniger geworden.
«Entscheidend ist, wo und wie viel sie spielen. Es braucht vor allem Plätze in den Top-Teams und in den Unterzahl- und Powerplay-Situationen.»
Was bereitet Ihnen am meisten Sorgen?
«Die Tendenz und die Zahlen sprechen eine klare Sprache. Wir werden nun an der WM sehen, wo unsere Spieler stehen. Zudem mache ich mir längerfristig auch Sorgen um die U20, U18 und deren Perspektiven. Sie haben kaum noch eine Chance, wenn selbst gestandene Spieler derart weniger Eiszeit erhalten, vor allem auch in den Special Teams.»
Zum zweiten Mal nicht dabei sein an der WM werden Russland und Belarus. Wie stehen Sie zu diesem Ausschluss?
«Man sollte Politik und Sport zwar eigentlich trennen, aber man kann sich leider Gottes nicht davor verschliessen. Schweden oder Finnland haben da eine klare Meinung, wir Schweizer sind immer etwas neutral. Die Situation ist schlimm, und Russland muss unweigerlich die Konsequenzen tragen.»
Und es erhöht die Chancen auf eine Halbfinal-Qualifikation.
«Das ist nicht relevant. Jede WM muss zuerst gespielt werden – egal, wer dabei ist. In Lettland und Finnland wäre es sowieso undenkbar, dass die Russen und Belarussen in der aktuellen Situation dabei sind. Für den Sport ist es nicht gut. Russland ist eine grosse und wichtige Nation im Eishockey.»
Dafür konnte die Schweiz den Platz in der Euro Hockey Tour erben. Wie lautet eine erste Bilanz?
«Das ist enorm wichtig für unsere Spieler und ihre Entwicklung. Es gibt viermal im Jahr die Chance, gegen Topgegner zu spielen – nicht nur für das WM-Kader, auch für die Prospects. Es ist ein grosser Mehrwert, von dem wir auch an der WM profitieren werden. Es ist ein Glückstreffer, dass wir jetzt dabei sind, aber nicht nur. Wir mussten hart kämpfen und haben hinter den Kulissen viel gemacht. Wir sind ein verlässlicher, seriöser Partner, und die Erfolge der Vergangenheit sind wichtig. »
Wie sieht es aus, wenn Russland dereinst wieder mal zurückkommt?
«Es sieht gut aus, dass wir dabei bleiben könnten, unabhängig von Russland. Die Frage ist, ob allenfalls auf fünf Teams aufgestockt wird. Das Ziel ist, eine so gute Visitenkarte abzugeben, dass wir dabei bleiben können.»
Der Vertrag von Nationalcoach Patrick Fischer läuft in einem Jahr aus. Wie zufrieden sind Sie mit ihm?
«Sehr zufrieden. Wir haben nach Peking eine profunde Analyse gemacht. Klar, wir müssten das achte Spiel gegen die USA gewinnen (den WM-Viertelfinal vor einem Jahr). Aber der Weg dahin stimmt. Wir hinterfragen uns nach jedem Turnier. Die Ziele müssen hoch sein. Die Spieler kommen nicht mehr für einen Viertelfinal. Die Arbeit des Trainers kann aber nicht nur an den Resultaten gemessen werden. Es geht auch darum, wie gearbeitet wird.»
Was macht Patrick Fischer gut, was schlecht?
(lacht) «Er ist als Coach ein ausgewiesener Fachmann. Er hat eine unglaubliche Begabung, Leute zu führen. Er hat auch die nötige Ausstrahlung, das Team zu repräsentieren, und ist ein sehr guter Botschafter.»
Er hat aber zuletzt viele K.o.-Spiele knapp verloren.
«Lustig ist, dass wir das mit ihm gar nicht thematisieren müssen. Er fragt sich immer gleich selber, was er besser machen kann. Wir analysieren sehr lösungsorientiert. Die Geschichte hat sich nach aussen wiederholt, aber die Fakten sind komplett andere. Wir sind noch immer eine kleine Nation, aber wir haben Lösungsansätze, wie wir diesen Schritt machen wollen. Daran arbeiten wir täglich. Patrick ist ein ‘student of the game’ mit viel Eigeninitiative. Er war noch nie einer, den man anzutreiben braucht.»
Warum sind wir eine kleine Nation? Finnland hat weniger Einwohner, aber mehr Hockeyspieler. Warum ist das so?
«Das hat verschiedene Gründe. Finnland hat eine Hockeykultur, rein geografisch, vom Klima her. Wir sind kulturell breiter aufgestellt, nicht nur im Sport. Wir sind zwar eine Hockeynation, aber wir sind auch erfolgreich im Fussball, Tennis, Ski, Segeln. Das hat Finnland nicht. Da spielt jeder, der ein Hobby anfängt, Eishockey. Daran müssen wir noch arbeiten, Eishockey einer noch breiteren Bevölkerung näherzubringen.»
Mit Biel oder Servette wird es einen neuen Playoff-Meister geben. Ihre Einschätzung?
«Das freut mich aus zwei Gründen. Erstens die Geografie. Neues belebt das Geschäft. Einen Meister aus der Westschweiz zu haben, ist wichtig. Und es zeigt, dass die Qualifikation nicht für nichts ist. Die Euphorie, die in diesen Städten entstanden ist, ist positiv. Ich freue mich sehr auf diese Serie.»
Es ist das Ende der ersten Saison nach Corona. Sind Sie überrascht, dass das Schweizer Hockey die Pandemie so gut überstanden hat?
«Wir sind grossartig unterstützt worden, das darf man schon einmal sagen. Früher hat man oft die Floskel gehört, in Amerika sei der Sport halt eine Religion. Aber wir dürfen uns gar nicht beklagen. Wir haben für den Sport enorm viel Unterstützung bekommen.»