«Als Fahrer muss ich immer an meine Chance glauben»
Stefan Küngs Formstand vor den Klassikern ist gut. Der Thurgauer hofft, bei der Flandern-Rundfahrt am Sonntag und eine Woche später bei Paris-Roubaix an seine Vorjahresleistungen anknüpfen zu können.
Stefan Küngs Formstand vor den Klassikern ist gut. Der Thurgauer hofft, bei der Flandern-Rundfahrt am Sonntag und eine Woche später bei Paris-Roubaix an seine Vorjahresleistungen anknüpfen zu können.
Stefan Küng, 2022 wurden Sie in Flandern Fünfter und danach in Roubaix gar Dritter. Was lässt Sie auf einen ähnlichen Coup in diesem Jahr hoffen?
«Die Konstanz im letzten Frühling war ein klarer Schritt vorwärts. Es gibt einem Selbstvertrauen, wenn du genau weisst, dass, wenn es dir in einem harten Rennen weh tut, dies bei den anderen Fahrer mindestens ebenso ist. Man weiss nun aus eigener Erfahrung, was möglich ist. Deshalb sind die Ansprüche gestiegen.»
Sie haben in den vergangenen Tagen als Vorbereitung auf die Flandern-Rundfahrt drei Eintagesrennen in Belgien bestritten. Wie steht es um Ihre Form?
«Beim E3 Classic Harelbeke lief es mir grundsätzlich sehr gut.»
Sie klassierten sich im sechsten Rang. Aber als Wout van Aert, Mathieu van der Poel und Tadej Pogacar schon weit vor dem Ziel angriffen, konnten Sie nicht folgen.
«Ich war nicht ideal positioniert und bekam das gar nicht mit. Schwierig zu sagen, ob ich hätte mitfahren können. Danach war ich Teil der ersten Verfolgergruppe.»
In einer solchen befanden Sie sich auch am Mittwoch bei Quer durch Flandern. Als 23. kamen Sie zeitgleich mit dem Zweitklassierten ins Ziel. Jedoch drei Tage zuvor bei Gent-Wevelgem lief es Ihnen gar nicht, obwohl Sie doch sonst mit nassen und kalten Bedingungen gut zurechtkommen.
«Ja, es sagt mir normalerweise zu, wenn es von A bis Z hart ist. Ich komme mit solchen Konditionen oftmals besser zurecht als andere Fahrer. Dieses Mal war es nicht so.»
Was war los?
«Ich hatte schon früh ein taubes Gefühl in den Händen und Füssen. Nach 120 Kilometern ging ich Handschuhe und Kleider wechseln. Zu diesem Zeitpunkt konnte ich kaum mehr richtig schalten. Bei der elektronischen Schaltung musst du eigentlich nur einen kleinen Knopf drücken, aber ich fand diesen gar nicht. Meine Finger waren so taub, dass nichts mehr funktionierte.»
Haben Sie mittlerweile eine Erklärung gefunden?
«Es ist komisch, denn ich habe ja schon Etappen an der Tour de Romandie gewonnen, als es geschneit hat. Auch an der WM 2019 in Yorkshire war es kalt (als Küng Bronze gewann – Red.). Doch letzten Sonntag sagte der Körper für einmal: ‘Heute nicht mit mir.’ Das muss ich akzeptieren. Wir sind keine Maschinen, auch wenn es manchmal so aussieht.»
Warum gaben Sie das Rennen nicht auf?
«Auch wenn du aufgibst, irgendwie musst du ja trotzdem ins Ziel kommen. Wenn du ins Begleitauto steigst, weisst du nicht, ob deine Kleider auch gleich da sind. Du bist aber komplett nass, da wäre dann die Gefahr, dass du krank wirst, eher grösser. Zudem waren in meiner Gruppe noch ein paar Teamkollegen. Bis ins Ziel zu fahren war wohl der schnellste Weg zu einer warmen Dusche.»
Sagen Sie sich: Wenn schon einen solch schlechten Tag einziehen, dann besser an einem Vorbereitungsrennen als beim grossen Ziel?
«Einerseits überlegst du schon, wie es so weit kommen konnte. Habe ich Fehler gemacht? Was soll ich das nächste Mal anders machen, dass es nicht mehr passiert? Es sollte wohl einfach nicht sein. Andrerseits stimmt ja die Form. Zwei Tage zuvor in Harelbeke hatte ich gute Beine. Deshalb habe ich das abgehakt. Einen solchen Tag ziehe ich lieber bei Gent-Wevelgem als bei der Flandern-Rundfahrt oder Paris-Roubaix ein.»
Aktuell drücken ein paar wenige Fahrer dem Radsport extrem den Stempel auf. Welche Taktik gilt es für Sie zu wählen, um bei Pogacar, Van Aert und Van der Poel bleiben zu können, geschweige denn, sie am Schluss im Kampf um den Sieg zu bezwingen?
«Bei der Flandern-Rundfahrt gibt es keine Geheimnisse. Diese ist ein sehr physisches Rennen, ein Abnützungskampf, da machen eigentlich immer die stärksten Fahrer den Sieg unter sich aus. Wenn man Harelbeke nimmt: Die genannten Fahrer sind die dominierenden Figuren des Radsports. Diese zu bezwingen, ist brutal schwierig. Aber in der Vergangenheit gab es das auch, da hiessen diese Fahrer halt einfach Fabian Cancellara und Tom Boonen.»
Das heisst, Sie glauben trotzdem an Ihre Chance?
«Als Fahrer muss ich immer an die Chance glauben, dass es mit dem Sieg klappen kann. In einem Rennen kann immer vieles passieren. Je nach Rennsituation kann auch einer gewinnen, der an diesem Tag physisch nicht der absolut stärkste Fahrer war. Es gibt viele Athleten auch in anderen Sportarten, die können ein Lied davon singen, wie es ist, gegen die absolut dominierenden Fahrer ihrer Zeit zu fahren. Ich schaue zum Beispiel oft Skirennen. Da siehst du im zweiten Lauf die Besten, und es heisst, wie nahe alle beieinander sind. Doch dann kommt am Schluss Marco Odermatt und nimmt allen zwei Sekunden ab. Dann stehen die anderen Fahrer wie Schulbuben da. Da kannst du dann nur anerkennend nicken und gratulieren. Als Sportler musst du es akzeptieren können, wenn jemand stärker ist als du.»