Erdbeben-Hilfe für Syrien: Dringend benötigt, schwierig zu liefern
Erdbeben kennen keine Ländergrenzen. Wer in diesen Tagen die Rettungseinsätze in der Türkei und Syrien verfolgte, fand auf beiden Seiten der Grenze aber ziemlich verschiedene Welten vor: in der Türkei mehr als 100 000 Helfer, Suchtrupps mit Hunden, spezielle Geräte zum Aufspüren von Verschütteten, Kräne und mehr. Aus Dutzenden Ländern kamen Hilfsangebote, darunter aus Deutschland, Spanien und den USA.
Erdbeben kennen keine Ländergrenzen. Wer in diesen Tagen die Rettungseinsätze in der Türkei und Syrien verfolgte, fand auf beiden Seiten der Grenze aber ziemlich verschiedene Welten vor: in der Türkei mehr als 100 000 Helfer, Suchtrupps mit Hunden, spezielle Geräte zum Aufspüren von Verschütteten, Kräne und mehr. Aus Dutzenden Ländern kamen Hilfsangebote, darunter aus Deutschland, Spanien und den USA.
Auf der anderen Seite der Grenze, im Nordwesten Syriens, kam erst einmal gar nichts. Seit Montagmorgen versuchten Freiwillige der Rettungsorganisation Weisshelme dort mit blossen Händen und Schaufeln, Menschen lebend aus den Trümmern zu ziehen. Es waren so wenig Retter, dass bis Donnerstagmittag überhaupt in nur fünf Prozent der betroffenen Gebiete gesucht werden konnte. Landesweit wurden mehr als 3300 Tote gemeldet.
Humanitäre Hilfe für Syrien, das war schon in den Jahren vor dieser Katastrophe eine Aufgabe zum Verzweifeln. Grund sind der seit 2011 laufende Bürgerkrieg und dessen Folgen. Die Provinz Idlib im dicht besiedelten Nordwesten, eine letzte Hochburg von Aufständischen, ist faktisch isoliert vom Rest des Landes. Die Einreise ist nur noch über die Türkei möglich, Grenzübergänge sind weitgehend geschlossen. Strom und Internet gibt es kaum oder gar nicht.
«Was soll man sagen. Die Welt hat uns wie immer aufgegeben. Wir haben alles verloren», sagte ein Anwohner aus der Kleinstadt Dschindiris der dpa mit zittriger Stimme am Telefon. Rund 20 Mitglieder seiner Familie seien noch verschüttet. «Am ersten Tag haben wir ihre Stimmen unter den Trümmern gehört, aber dann liessen sie langsam nach. Die Lage ist aussichtslos.» Rund 2000 Tote und 5000 Verletzte wurden nur im Nordwesten gemeldet. Die Zahlen dürften weiter steigen.
Grund für den schwierigen Zugang sind der Krieg und die Regierung von Präsident Baschar al-Assad, der nach offiziellen Angaben am Freitag gemeinsam mit seiner Frau Asma in einer Klinik in Aleppo Erdbebenopfer besuchte. Assads Regierung nutzte bisher Hilfsgüter als Machtmittel im Konflikt, um die Rebellen unter Druck zu setzen – und es gibt keine Signale, dass die Erdbebenkatastrophe daran etwas ändert.
Nach Angaben von Aktivisten fehlt es derzeit an allem – etwa an Decken, Zelten und warmer Kleidung. «Die Bedürftigkeit ist sehr gross», sagt Bahia Zrikem vom Norwegischen Flüchtlingsrat (NRC), der in ganz Syrien Hilfe leistet. Viele Syrer seien nach den Erdbeben in Zelten, Sammelunterkünften, Moscheen und Schulen untergekommen. «Wir stehen vor einer Katastrophe, die schlimmer ist als die Tage des Krieges», beschreibt eine Frau aus Aleppo die Situation.
Immer wieder gibt es Befürchtungen, dass auch der Grenzübergang Bab al-Hawa zur Türkei geschlossen wird. Das würde faktisch bedeuten, dem Nordwesten und den rund 4,5 Millionen Bewohnern in der Region mit Blick auf humanitäre Versorgung den Hahn abzudrehen.
Syrische Aktivisten werfen zudem der Türkei vor, Hilfstransporte nach Syrien zu verzögern. Und die kurdisch geführten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) beschuldigen wiederum von Ankara unterstützte Rebellen innerhalb Syriens, Lieferungen wichtiger Nothilfegüter in einige Rebellengebiete des zersplitterten Bürgerkriegslandes zu blockieren.
Erschwerend kommt hinzu, dass die Hilfen bisher aus Gaziantep in der Türkei koordiniert wurden, das stark vom Beben getroffen wurde. Eigentlich haben die UN und Organisationen wie Save the Children oder die Welthungerhilfe hier Regionalbüros, jetzt beklagen sie teilweise Todesopfer in den eigenen Teams. Ein Mitarbeiter von CARE berichtet dramatische Szenen aus einer fensterlosen Notunterkunft ohne Wasser, wo Familien wie «Jäger und Sammler» auf Essenssuche gehen.
In syrischen Gebieten, die von Assad und Verbündeten kontrolliert werden – also in etwa zwei Dritteln des Landes – ist die Sache nicht leichter. Assad ging und geht im Krieg mit mehr als 350 000 Toten brutal gegen die eigene Bevölkerung vor, ihm werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit angelastet, etwa der Einsatz von Chemiewaffen. Hilfsangebote an eine Regierung, die das eigene Volk «vergast» und «abschlachtet», wären «ziemlich ironisch, wenn nicht kontraproduktiv», sagt der US-Aussenamtssprecher Ned Price.
Hilfe brauchen die Menschen auch dort natürlich trotzdem – vor wie auch nach dem Erdbeben. Hilfsorganisationen müssen aber viele Bedingungen erfüllen, um nicht gegen Sanktionen von USA und EU zu verstossen und Strafen zu riskieren. Es sei ein «Eiertanz», sagt der Leiter einer deutschen Hilfsorganisation, die in Syrien arbeitet. Die Sanktionen wurden gegen die Assad-Regierung verhängt, um sie unter Druck zu setzen und ihre Geldströme auszutrocknen.
Wer zum Beispiel Räume mieten, Transport organisieren oder Ausrüstung kaufen will, riskiert einen solchen Verstoss. Einfach deshalb, weil indirekt jemand profitiert, der Verbindungen zur Regierung hat. Telefonanbieter, Versicherungen, Banken, Treibstoff – überall lauerten Risiken, sagt Zrikem vom NRC. «Es verzögert alles, was wir tun», sagt sie.
Immer wieder wurde auch dokumentiert, wie die Assad-Regierung Hilfsgüter als Machtmittel einsetzt: Als loyal empfundene Gegenden wurden versorgt und Wohngebiete, die einst die Rebellen beherrschten, übergangen. Essenskörbe würden an Militäreinheiten verteilt. Die Zentralbank verdiene durch verzerrte Wechselkurse ausserdem kräftig mit, wenn Hilfswerke etwa US-Dollar in Pfund tauschten, um in Syrien zu arbeiten, schreibt die Denkfabrik CSIS.
Schon vor dem Erdbeben lebten in Syrien 90 Prozent der Bevölkerung in Armut, es fehlt so ziemlich an allem. 15 Millionen Menschen sind nach UN-Angaben auf Hilfe angewiesen. An das Wort «Erdbeben», schreibt ein Beobachter bei Twitter, hätten die Syrer am Sonntagabend aber wohl noch nicht gedacht – sie waren beschäftigt mit dem Krieg. Schon allein deswegen kreisten die Gedanken um Armut, Zerstörung, Cholera, Winterkälte und Tod.