«Organspende war meine einzige Option»
Ich darf weiterleben, weil zwei Menschen gestorben sind», sagt Sabrina Züger. «Von diesen zwei Menschen habe ich ein lebenswichtiges Organ
Ich darf weiterleben, weil zwei Menschen gestorben sind», sagt Sabrina Züger. «Von diesen zwei Menschen habe ich ein lebenswichtiges Organ bekommen», erklärt die 39-jährige Reichenburgerin.
Den 10. Geburtstag erleben unwahrscheinlich
Sabrina Züger kommt 1983 mit einer seltenen Stoffwechselkrankheit zur Welt, von der damals nur etwa eine Handvoll Menschen in der Schweiz betroffen waren. Die Märchlerin wurde mit einer Leber geboren, welche kein Eiweiss verstoffwechseln kann. Die Ärzte haben wenig Hoffnung, dass das eben erst geborene Baby das Teenager-alter erreicht: «Meinen Eltern wurde gesagt, dass ich nicht einmal meinen 10. Geburtstag erleben würde.» Dennoch meistert Züger unter Einhaltung einer strikten Eiweissdiät und regelmässigen Arztbesuchen das erste Jahrzehnt ihres Lebens. Was sie, ihre Familie und die Ärzte jedoch wissen: Lange kann das Mädchen mit ihrer kranken Leber nicht mehr weiterleben. Und so sprechen die Ärzte die damals einzige Option aus: die Organ-transplantation.
Erste Transplantation mit 11 Jahren In der Schweiz wurde die erste Trans-plantation an einem Erwachsenen 1964 mit einer Niere durchgeführt, die erste Lebertransplantation an einer erwachsenen Person fand 1983 statt. Lebertransplantationen an Kindern werden bis heute nur in Genf durchgeführt, der erste Eingriff erfolgte 1989.
Wenige Jahre später, 1994, entscheidet sich auch die damals 11-jährige Züger dazu. Der Lebenswille des Mädchens überwiegt die Angst vor der Operation und dem Leben danach. Um mit einem transplantierten Organ leben zu können, müssen täglich Medikamente, sogenannte Immunsuppresiva, eingenommen werden. Diese unterdrücken das Immunsystem, damit das transplantierte Fremdorgan nicht abgestossen wird – das funktioniert in der Regel gut, ein Restrisiko bleibt jedoch immer bestehen.
Bevor Züger auf die Warteliste kommt, muss sie sich einer Reihe Untersuchungen unterziehen. Nicht nur die Blutgruppe muss bei der Spenderperson übereinstimmen, sondern auch noch eine Menge anderer Werte. Vom Spital bekommt das Mädchen einen Pieper – sie muss jederzeit erreichbar sein. Nur knapp einen Monat später wird die Familie darüber informiert, dass eine passende Leber gefunden wurde. Dann geht alles ganz schnell: «Ich wurde zum Spital Lachen gebeten, von wo aus ich per Helikopter nach Genf geflogen wurde.» Im Genfer Kinder-spital wird Züger ein Teil der Spenderleber in einer 14-stündigen Operation transplantiert. Der Eingriff verläuft ohne Komplikationen, für die Reichenburgerin beginnt ein neues Leben.
Erstaunliche Fortschritte der Medizin Es vergehen gut zwanzig Jahre – Züger ist nun verheiratet und hat eben erst eine gesunde Tochter zur Welt gebracht – als die Müdigkeit, die Energielosigkeit und die Gelbsucht zurückkehren. Nach und nach wird der Alltag der jungen Frau zur Zerreissprobe: Muttersein und Haushalten werden immer schwerer zu managen, trotz der grossen Unterstützung, welche Züger von ihrer Familie erhält.
«Es war im Sommer 2017, als ich mich mit meinem Arzt beriet und mich für eine zweite Organspende entschied. » Das Prozedere beginnt von vorne. Nach diversen Untersuchungen kommt die damals 34-Jährige auf die Warteliste. Diesmal vergeht ein Jahr, bis eine passende Leber gefunden wird. Vor der zweiten Transplantation ist Züger nervöser als vor der ersten: «Nun hatte ich eine eigene Familie, ich hatte Verantwortung.» Ihre positive Einstellung, die sie schon als Kind hat-te, ist der Märchlerin aber geblieben. Kraft habe ihr vor allem ihre Tochter gegeben.
«Es ist erstaunlich, in welch kurzer Zeit die Medizin Fortschritte macht», sagt Züger. Der zweite Eingriff, bei dem nicht nur ein Teil, sondern die ganze Leber transplantiert wurde, habe nur knapp fünf Stunden gedauert – ein Drittel der Zeit, welche die erste Transplantation in Anspruch genom-men hat. Der Spitalaufenthalt wurde auf zwei Wochen verkürzt, danach folgten zwei Wochen Reha.
Mit der Ungewissheit leben Die Transplantationen gaben Züger die Chance, trotz Krankheit ein nahezu «normales» Leben zu führen. «Dafür bin ich jeden Tag dankbar», sagt sie. Mit dem Teilen ihrer Geschichte will die Reichenburgerin die Menschen dazu anregen, sich Gedanken zur Organspende zu machen. Ob die Transplantation dadurch ermöglicht wurde, weil die verstorbenen Personen zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt oder ob die Angehörigen sich im Nachhinein dafür ausgesprochen hatten, wird die Märchlerin nie erfahren. Diese Ungewissheit macht Züger manchmal zu schaffen. Sie wünscht sich von Herzen, dass die Organspende auch Wille der verstorbenen Person gewesen sei, denn: «Ohne die neue Leber wäre ich heute womöglich nicht mehr da.»