Michael Albasini über Hektik, Plaudereien und Überraschungssieger
Am Samstag findet mit Mailand – Sanremo der erste grosse Klassiker der Rad-Saison statt. Für den Schweizer Nationaltrainer Michael Albasini ist es eines der «grandiosesten Rennen» im Kalender. Michael Albasini galt jahrelang ...
Am Samstag findet mit Mailand – Sanremo der erste grosse Klassiker der Rad-Saison statt. Für den Schweizer Nationaltrainer Michael Albasini ist es eines der «grandiosesten Rennen» im Kalender. Michael Albasini galt jahrelang ...
Am Samstag findet mit Mailand – Sanremo der erste grosse Klassiker der Rad-Saison statt. Für den Schweizer Nationaltrainer Michael Albasini ist es eines der «grandiosesten Rennen» im Kalender.
Michael Albasini galt jahrelang als zweiter Schweizer Siegfahrer neben Fabian Cancellara. Ende 2020 beendete er nach 18 Profisaisons mit 30 Siegen seine Aktivkarriere und trat bei Swiss Cycling die Nachfolge seines Vaters Marcelo Albasini als Schweizer Nationaltrainer an.
Während eines Trainingslagers der U23-Auswahl im Tessin nahm sich der 41-jährige Thurgauer Zeit, um mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA über sein herausforderndes erstes Jahr als Nationaltrainer, die Wichtigkeit der Heimrundfahrten und die Eröffnung der Klassiker-Saison zu sprechen.
Der Frühling hat Einzug gehalten, das Velo-Wetter wird allmählich besser. Wie steht es um Ihre Form?
Michael Albasini: «Die ist im Tief-Winter (lacht). Vielleicht bringe ich es in diesem Jahr bislang auf eine handvoll Trainings. Mehr als 300 km habe ich wohl noch nicht in den Beinen.»
Sie haben nach Ihrem Karrierenende nahtlos weitergemacht. Wie einfach ist Ihnen der Rollenwechsel vom Fahrer zum Nationaltrainer gefallen?
«Den Wechsel habe ich eigentlich kaum wahrgenommen. Es ging alles sehr schnell. Ich war von Beginn an in meiner Rolle als Nationaltrainer gefordert. Für mich war vieles neu, und es war von Beginn an viel los, auch wegen der Pandemie, alles begleitet von viel Hektik und Chaos.»
Ein Kaltstart also.
«Ja. Nach dem kurzfristigen Entscheid der UCI, dem Schweizer Nationalteam doch einen Startplatz für die Heimrennen einzuräumen, musste ich beispielsweise innerhalb von zehn Tagen ein komplettes Team (inklusive Staff – Red.) auf die Beine stellen, das die Tour de Romandie bestreitet. Ich hätte mir gewünscht, mir beim ersten Mal etwas mehr Zeit nehmen zu können, um zu überlegen, was es alles braucht. Am einfachsten war jeweils die Zeit während den Rennen. Sobald ich aus dem Begleitauto ausgestiegen bin, war ich wieder am ’seckle‘, um irgendwo ein Feuer zu löschen. Mein erstes Jahr war sehr herausfordernd.»
Seit dem Rückzug von IAM Cycling und dem Team Roth verfügt die Schweiz seit 2017 über kein Team mehr auf den obersten beiden Stufen. Wie bedauernswert ist das?
«Sehr. Es wäre dringend nötig, dass wir in der Schweiz zumindest wieder ein Pro-Conti-Team auf zweithöchster Stufe haben. Das kostet jedoch viel Geld. Fahrer und Personal müssen bezahlt werden. Das geht schnell in die Millionen. Das Fehlen eines Profiteams hierzulande ist definitiv ein Manko. Wir produzieren in der Schweiz nicht Talente en masse und können es uns nicht leisten, noch welche zu verlieren.»
Umso wichtiger scheint es, dass der internationale Radsportverband Swiss Cycling auch in diesem Jahr erlaubt, mit einer Auswahl die Tour de Suisse und Tour de Romandie bestreiten zu können.
«Ja. Für all jene, die den Sprung vom U23-Fahrer in die World Tour noch nicht geschafft haben, ist das ein sehr wichtiges Schaufenster. Sie erhalten die Möglichkeit, auf der grossen Bühne auf sich aufmerksam zu machen. Für Matteo Badilatti, Fabian Lienhard, Simon Pellaud oder zuletzt auch Joel Suter waren diese Nati-Einsätze ein Sprungbrett. Sie alle haben sich für einen Vertrag bei einem World-Tour-Team aufdrängen können. Ich hoffe, wir können diese Erfolgsquote beibehalten.»
Wie zufrieden sind Sie mit dem Einstieg der Schweizer World-Tour-Fahrer in dieser Saison?
«Sicherlich sticht der Zeitfahr-Sieg von Stefan Bissegger an der UAE Tour heraus, als er den zweifachen Weltmeister Filippo Ganna bezwingen konnte. Stefan Küng hat am letzten Tag von Paris-Nizza ebenfalls gezeigt, dass er mit Topleuten mithalten kann und er bereit ist. Bei Marc Hirschi braucht es nach seiner Operation im Hüftbereich sicher noch etwas Geduld. Er ist noch nicht wieder ins Renngeschehen eingestiegen. Ich bin aber zuversichtlich, dass er in absehbarer Zeit seine Form wiederfinden kann.»
Am Samstag steht mit Mailand-Sanremo der erste sogenannte Frühjahrsklassiker an. Sie selber kommen auf sechs Teilnahmen. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Rennen?
«Das Beste war sicherlich, als mein Teamkollege Matthew Goss (im Jahr 2011 – Red.) in Sanremo gewinnen konnte. In schlechter Erinnerung habe ich jene Ausgabe, als es am Turchino-Pass im nicht beleuchteten Tunnel zu einem Massensturz gekommen war. Da war das Rennen für mich nach der Hälfte der Distanz schon gelaufen. Das war sehr frustrierend.»
Mailand-Sanremo gehört zu den fünf Monumenten des Radsports. Was macht diesen Klassiker aus?
«Ich finde es eines der grandiosesten Rennen. Um den Vergleich mit der Musik zu machen, es ist ein bisschen wie das Lied von der Moldau. Es beginnt langsam und gegen Ende wird es immer hektischer und wilder, bis zum Grande Finale. Der Spannungsbogen baut sich auf. Dazu kommt die historische Distanz von gegen 300 km. Das ist heute im Radsport sehr selten. Mailand-Sanremo ist der Inbegriff eines Frühlingsklassikers, der grosse Startschuss in die Saison. Auch das Wetter spielt oft verrückt. Von Schnee auf dem Turchino-Pass bis hin zu 20 Grad an der ligurischen Küste ist eigentlich alles möglich. Es ist ein Abenteuer.»
Was braucht es, um Mailand-Sanremo zu gewinnen?
«Ich weiss es nicht, ich habe es nie geschafft (lacht). Nein, ehrlich, es ist ein Konzentrationsspiel. Oft löst sich relativ früh eine Fluchtgruppe und das Feld rollt ein bisschen dahin. Das verleitet einige Fahrer dazu, aus Langeweile mit anderen zu plaudern. Sie fahren dann im Wind draussen, was zusätzlich Kraft kostet. Das addiert sich hinten raus, denn nach 300 km zählt jeder Tropfen Energie. Das Rennen dauert über sechs Stunden. Die Konzentration über eine so lange Zeit hochzuhalten, ist nicht einfach. Klar braucht es auch gute Beine und einen frischen Kopf bei den schwierigen Abfahrten.»
Was trauen Sie den Schweizern zu?
«Simon Pellaud wird im Team Trek-Segafredo mit Leader Mads Pedersen bestimmt eine Helferrolle einnehmen. Stefan Bissegger* geniesst womöglich mehr Freiheiten. Der Knackpunkt wird sein, ob er mit der Spitze über die Cipressa (den zweitletzten Anstieg rund 20 km vor dem Ziel – Red.) kommt. Wenn die Topfavoriten dort voll hinauf donnern, wird es für ihn wohl sehr schwierig werden, ihnen zu folgen.»
Sie sprechen die Topfavoriten an. Wout van Aert, der Gewinner von 2020, und Tour-de-France-Sieger Tadej Pogacar sind die meistgenannten Sieganwärter. Wer hat am Ende die Nase vorne?
«Schwierig (überlegt). Auch für mich sind Van Aert und Pogacar zu favorisieren. Das Rennen hat aber schon viele Überraschungssieger hervorgebracht. Wer mir in letzter Zeit sehr gut gefallen hat, ist Quinn Simmons, ein junger Amerikaner aus dem Team Trek-Segafredo. Ein Sieg von ihm käme jedoch einer grossen Überraschung gleich. Ich würde auf Van Aert tippen, so wie er sich in den letzten Wochen präsentiert hat.»
* = Stefan Bissegger wird entgegen erster Erwartungen nicht bei Mailand-Sanremo teilnehmen. Stattdessen wird Silvan Dillier als zweiter Schweizer am Start stehen.
Der Beitrag Michael Albasini über Hektik, Plaudereien und Überraschungssieger erschien zuerst auf Hoefner Volksblatt und Marchanzeiger.