In der Halfpipe loten sie das Limit aus
Wenn die Halfpipe-Snowboarder am Mittwoch ins Olympia-Geschehen eingreifen, wird manchem Zuschauer schwindlig. Vor allem die Konkurrenz aus Japan lotet das Limit aus. Den Vorgeschmack gab es im Januar am Laax Open. Es war der letzte Wettkampf vor ...
Wenn die Halfpipe-Snowboarder am Mittwoch ins Olympia-Geschehen eingreifen, wird manchem Zuschauer schwindlig. Vor allem die Konkurrenz aus Japan lotet das Limit aus. Den Vorgeschmack gab es im Januar am Laax Open. Es war der letzte Wettkampf vor ...
Wenn die Halfpipe-Snowboarder am Mittwoch ins Olympia-Geschehen eingreifen, wird manchem Zuschauer schwindlig. Vor allem die Konkurrenz aus Japan lotet das Limit aus.
Den Vorgeschmack gab es im Januar am Laax Open. Es war der letzte Wettkampf vor den Olympischen Spielen, das Stelldichein für Peking. Der Japaner Ayumu Hirano gewann, sein 19-jähriger Bruder Ruka Hirano stürzte brutal, schlug mit dem Gesicht hart auf. Zur Überraschung der meisten Mitstreiter und Zuschauer verletzte er sich nicht schwer. Einen passenden Satz dazu lieferte Elias Ambühl in Peking, in der Big-Air-Qualifikation der Ski-Freestyler nach einem Sprung des Norwegers Alexander Hall: «Dem einen oder anderen würde schlecht werden beim Drehen.»
Was vor wenigen Jahren noch unrealistisch schien, als zum Beispiel Elias Ambühl zu den besten Ski-Freestylern gehörte, vollführen die Athleten nunmehr mit einer scheinbaren Leichtigkeit. Die Pipes und Sprünge wurden immer grösser und immer eisiger, die Gefahr nahm zu, sich schwer zu verletzen, sollte etwas schiefgehen. Wobei das Risiko im Slopestyle geringer ist als in der Halfpipe, weil man in der Regel auch bei einem missglückten Sprung im Steilen landet.
In der Halfpipe katapultieren sich die Athleten mittlerweile mehr als fünf Meter über Kante hinaus. Verschätzt sich einer gröber, schlägt er entweder hart auf der Kante auf oder stürzt noch einmal sechs Meter weiter hinunter in die Kompression. So hoch sind die Pipes für die Weltbesten nunmehr gebaut.
Der eine siegt, der andere stürzt
Die immer höheren Sprünge ermöglichen auch immer mehr Rotationen. Früher verschob der US-Ausnahmekönner Shaun White die Grenzen, nun sind es Athleten aus Japan. «Es ist ein bisschen Europa/USA gegen Japan», sagt David Hablützel, der seit seinem 5. Platz vor vier Jahren in Pyeongchang als 17-Jähriger wiederholt von Verletzungen ausgebremst wurde und in China mit gerissenem Kreuzband antritt. Jan Scherrer hält fest: «Die Japaner machten im letzten Herbst einen Riesen-Schritt. Aber sie merken auch, dass es nicht einfach ist, zu dominieren. Die anderen probieren alle, dagegen anzugehen.»
Pepe Regazzi, der Schweizer Nationalcoach, verfolgt die Entwicklung mit gemischten Gefühlen: «Hat Roger Federer einen schlechten Tag, landet der Ball zehn Zentimeter im Aus. Landet ein Snowboarder zehn Zentimeter daneben, bezahlt er dafür teuer, vielleicht sogar mit dem Leben. Sieg oder Sarg – heftig», sagt er einerseits. «Als Trainer kommst du an einen Punkt, an dem du dich fragst: Lohnt es sich, immer mehr und mehr, immer mehr und immer grössere Schäden zu riskieren?» Andererseits findet er: «Zu sehen, was möglich ist, ist schon toll.»
Ein komplexer Hochleistungssport
Er sei der Letzte, der einen Athleten zu etwas pushen würde. Er sei nicht bereit, das Leben eines Jungen zu riskieren, betont Regazzi. «Inzwischen wünsche ich mir einfach, dass sich die Athleten durch den Sport selber zu besseren Menschen entwickeln. Das beinhaltet auch mehr Höhe und mehr Tricks – aber nicht um jeden Preis. Verletzt sich ein Athlet öfter, sage ich ihm offen, dass dies vielleicht nicht sein Weg ist.»
Über die Jahre hat sich der Sport zu einem komplexen Hochleistungssport entwickelt. «Als Snowboarder musst du heute komplett sein. Mental und physisch musst du top sein, eine Bodybuilder-Postur hilft dir aber nicht. Du brauchst vor allem Schnellkraft, musst beweglich und akrobatisch sein», erklärt Regazzi. Ein wesentlicher Teil des Trainings deckt sich mit jenem von Kunstturnern. Auf dem Trampolin wie in der Pipe vollführen die Snowboarder heute Kunststücke wie Zirkusartisten. «Es sind wirklich viele Puzzleteile, die ineinander greifen müssen», so Regazzi.
Greifen die Teile, wirkt alles viel gefährlicher, als es ist. So schildern es die Athleten. Pat Burgener zum Beispiel relativiert. Als Aussenstehender möge man den Eindruck haben, es sei brutal. «Aber das ist es nicht. Du tastest dich Schritt für Schritt heran. Du trainierst viel, übst auch viel auf dem Trampolin. Es geht darum, das Mass zu finden.» Der Kreuzbandriss, der ihn vor einem Jahr aus seinem sportlichen Hoch riss? «Einfach dumm, komplett unnötig – ein Missgeschick, wie wenn jemand die Treppe herunterfällt. Ich war in jener Phase übermotiviert, wollte zu viel.»
Spektakel ist in der olympischen Halfpipe garantiert, ein Restrisiko schwingt mit.
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